pedalkultur

Motor vs. Muskelkraft – Für und Wider zu elektrischen Fahrrädern

In den sozialen Medien nehme ich wiederkehrend die Diskussionen um das Thema E-Bikes war. Teilweise artet das in derartige Grabenkämpfe zwischen denjenigen, die mit Motor fahren, und denjenigen, die selbiges verteufeln, aus, dass ich denke, wir tun uns mit dieser Diskussion keinen Gefallen, wenn es darum geht die Verkehrswende anzuschieben. Deshalb jetzt der Versuch, das Thema mal etwas differenzierter anzugehen. Meine Meinung inklusive.

Vorweg, da es im täglichen Gebrauch häufig verschwimmt: Unter dem Begriff E-Bike wird, vereinfacht gesagt, alles subsummiert, was im Kern ein Fahrrad ist, aber einen Motor hat. Dabei wird zwischen zwei Arten unterschieden: Die Fahrräder, bei denen der Motor ohne das eigene Zutun schiebt und die, bei denen es nur Unterstützung gibt, wenn selbst in die Pedale getreten wird. Letztere heißen Pedelecs, unterstützen in Deutschland bis 25km/h und gelten rechtlich als normale Fahrräder. Von diesen soll hier die Rede sein. Dazu kommen noch sogenannte S-Pedelecs, diese brauchen ein Versicherungskennzeichen und haben Helmpflicht. Unterstützung gibt es bis 45km/h, das Fahren auf Radwegen ist verboten. Im allgemeinen Sprachgebrauch wird das Pedelec mit dem E-Bike häufig gleich gesetzt.

Unumstritten ist wohl, dass Pedelecs die einzige Form von individueller Elektromobilität sind, die im Massenmarkt funktioniert und wirklich auch eine nennenswerte Veränderung auf der Straße erkennen lässt. (Bahn gibts ja schon länger.) Während Verkehrsminister und Autobranche noch von autonomen E-Autos und Flugtaxis träumen, steigen die Verkaufszahlen im Fahrradmarkt mit Motor Jahr um Jahr weiter. Klare Vorteile sind dabei auch die wichtigsten Verkaufsargumente: Mit eingeschaltetem Rückenwind kommt man auch bei Gegenwind unverschwitzt ins Büro, die Reichweite der Strecken wird erhöht, herausfordernde Topografien werden einfacher machbar. Ein häufig unerwähnter Aspekt ist für mich auch die Planbarkeit der Geschwindigkeit: Mit Motor weiß ich, dass ich, unabhängig von Wetter oder Tagesform, bestimmte Strecken in immer der gleichen Zeit absolvieren kann. Egal ob 30°C im Schatten, Sturm oder Müdigkeit: der Motor schiebt immer mit der gleichen Kraft und bringt mich auf konstante Geschwindigkeit. Die Hardliner:innen aus der Fahrradblase kommen dann häufig mit dem “Hier gibt’s keine Berge, du hast gesunde Beine, was soll der Quatsch”-Argument. Klar, vor allem im städtischen Bereich und bei normalen Alltagsstrecken (im Münsterland) von ~5-10km braucht kein gesunder Mensch einen Motor. Aber häufig genug gehen die Lebensrealitäten darüber hinaus. Wer in der heutigen Zeit Wohn- und Arbeitsort, Schule, Kita, die Nahversorgung und Freizeitgestaltung in diesem Umkreis findet, kann sich sehr glücklich schätzen. Wenn es über diesen Bereich hinaus geht, sind es nicht selten die kleinsten Hindernisse, die Menschen weiterhin im Auto halten. “Da geht’s dann so steil rauf”, “Das ist schon ziemlich weit”, “Ich hab immer so viel zu transportieren”: Argumente, für die ein Motor im Fahrrad eine relativ einfache Lösung darstellt. Dabei sollte sich niemand anmaßen darüber zu urteilen, was “steil”, “weit” oder “viel” in diesen Kontexten bedeutet. Nur weil Mann/Frau selbst 10.000 Jahreskilometer abreißt und schon zig mal die Alpen überquert hat, wird das nicht zum Maßstab für den- oder diejenigen, die grade anfangen für 10km das Rad statt das Auto zu nehmen. Und genau das ist ja das, was wir eigentlich erreichen wollen: Die Leute auf Kurz- und Mittelstrecke vom Lenkrad zum Lenker zu kriegen. Spätestens wenn es darum geht regelmäßig Lasten oder Kinder zu transportieren, haben vor allem Lastenräder mit Motor für mich auf jeden Fall eine Berechtigung. Auch hier gilt: Nur weil es Leute gibt, die solche Strecken und Transporte alle ohne Motor hinbekommen, heißt das nicht, dass es die breite Masse auch kann, will oder muss. Ein E-Lastenrad mit Kindern ist mir lieber als jedes SUV-Elterntaxi.

Beispiel: Meine Eltern sind letztes Jahr 60 geworden. Andere Leute kaufen sich in dem Alter ein Wohnmobil, die beiden haben sich ein E-Lastenrad gekauft. Im ersten Jahr sind knapp 800 km Kurzstreckenautofahrten dafür eingespart worden. Getränke kaufen oder zum Recyclinghof geht es jetzt nur noch mit dem Lastenrad.

Ich selbst habe in Wuppertal angefangen Lastenrad zu fahren. Das “Aber die Berge” ist dort das Totschlagargument für alles, was mit Radfahren zu tun hat. Ich bin gesund und fit, habe ein Rad ohne Motor und damit auch keine Probleme. Aber als ich zu einer Geburtstagsfeier 4 Kisten Bier + Grillequipment für 12 Personen in die Südstadt hochfahren musste, war ich froh, dass Fienchen mir beim Schieben hilft. Fragwürdig finde ich allerdings die Entwicklung einiger Hersteller, das SUV-Prinzip auch aufs Lastenrad anzuwenden, wo verhältnismäßig sinnlose High-End-Technik verbaut wird, die solche Räder a) noch viel teurer macht und b) wieder eher das “größer, dicker, wuchtiger” bedienen, das wir vom SUV schon kennen. Für mich die Tendenz hin zum Maximaleventualbedarf und damit genau das, was wir bei immer größer werdenden Autos kritisieren. Grundsätzlich bin ich aber erstmal für alles, was die Menschen bewegt das Auto stehen zu lassen und sich in den Sattel zu schwingen. Und wenn ein Motor dabei hilft, super! Wie die geschätzte @Kommunautin so schön sagt: Das E-Bike ist ihr Methadonprogramm fürs Autofahren

Natürlich gibt es auch negative Punkte in dieser Diskussion. Am häufigsten kommt das Argument, dass die Einfachheit des Fahrrades es zu dem simplen und cleveren Verkehrsmittel macht, das es ist. Jedes weitere technische Detail und vor allem ein E-Motor sorgen dafür, dass diese Einfachheit nicht mehr gegeben ist. Selbst für kleinste Reparaturen muss das Rad in die Werkstatt. Selbst am Motor rumschrauben? Wird nichts. Dazu kommt, dass häufig nicht mal dort direkt das Problem behoben werden kann, Motoren oder Akkus müssen ausgebaut und eingeschickt werden. Entsprechende Wartezeit ohne Rad ist dann einzukalkulieren, die entsprechend erhöhten Wartungskosten ebenfalls. Ein weiteres Problem: Da man sich in der Fahrradbranche ja selten auf Standards einigen konnte und kann, sind inzwischen unübersichtlich viele Systeme am Markt. Kompatibilität untereinander ist meistens nicht vorhanden, man will ja die Kunden beim eigenen Produkt halten. Richtig kompliziert wird es, wenn Bauteile verändert werden und dann nach ein paar Jahren möglicherweise nicht mehr ans Rad passen. Bei den großen Herstellern muss man sich, glaube ich, keine Sorgen machen auch längerfristig Ersatzteile zu bekommen. Es gibt aber inzwischen auch eine Vielzahl von innovativen Start-Ups mit Kleinserien mit maximal integrierten Akkus und Motoren, die im schlimmsten Fall beim Scheitern des Projekts gar nichts mehr liefern. Dann hat man zwar ein schlankes, fancy Fahrrad, “das nicht nach E-Bike aussieht”, aber im Zweifel in ein paar Jahren teuren Elektroschrott, weil Ersatzteile fehlen und das Rad (vor allem beim Mittelmotor) gar nicht mehr ohne fahrbar ist. Das sollte man im Hinterkopf behalten. Eine weitere, mindestens fragwürdige Entwicklung, ist die der Kinder-E-Bikes. “Wenn die Eltern schon mit Unterstützung fahren, müssen die Kids ja hinterher kommen.” Ich bin immer noch zu erschüttert, um sicher zu sein, auf wie vielen Ebenen diese Aussage falsch ist. Auch hier gilt aber eigentlich das Gleiche wie bei den Großen: Wenn Strecken a) zu lang oder b) topografisch zu herausfordernd sind, dass die Kids diese mit normalen Rädern bewältigen, könnte ein E-Bike die Lösung sein. Ich finde allerdings, dass es cleverere Mittel geben muss, als Kinder von klein auf daran zu gewöhnen. Zumal im Wachstumsalter alle paar Jahre ein neues Rad her muss, was für mich in keinem Verhältnis zum Anschaffungspreis steht. Vom Einschätzen von Geschwindigkeit bis zum Handling des Rades mal ganz abgesehen.

Ich selbst schraube gerne selbst an meinen Rädern rum, finde es gut zu wissen, dass ich fast alles selbst reparieren kann und selbst für Teile von vor 50 Jahren noch Ersatz finde. Nichts desto trotz kann ich auch diejenigen verstehen, die sich einfach das Rundumsorglospaket mit Wartungsvertrag bei der/dem Händler:in buchen, ihr E-Bike 1x im Jahr zum Check geben und dann einfach fahren, ohne sich groß Gedanken zu machen. Auch hier gilt: Ich maße mir nicht an, jede:n zu verpflichten, eigenständig Bremsbeläge, Ketten oder Schaltzüge zu wechseln. Und das gilt auch fürs “normale” Rad.

Auch ich ertappe mich von Zeit zu Zeit dabei, Leute zu belächeln, die mit ihren E-MTBs über die flachen Feldwege des Münsterlandes fahren. Aber dann denke ich auch: Immerhin sitzen sie im Sattel und nicht auf der Couch. Auch wenn die Räder vielleicht auf dem Heckträger des Autos in den Wald gefahren wurden und das so überhaupt nicht meinem Verständnis von Radfahren entspricht. Unterm Strich bewegen sie sich draußen. Für wen der Motor die Hemmschwelle senkt, den Einstieg einfacher macht, der/die fährt vielleicht morgen schon mal mit dem Rad zum Einkaufen, nächste Woche zur Arbeit. Erst nur wenn es trocken ist im Sommer, dann mal bei Regen, irgendwann dann bei jedem Wetter und rund ums Jahr. Zumindest hoffe ich das.

Die Sache mit der Gefährlichkeit von E-Bikes, ist übrigens noch ein anderes Thema. Radfahrende sollten ihr Fahrrad, genauso wie alle anderen Verkehrsteilnehmer, jederzeit beherrschen können. Sollte das, aus welchen Gründen auch immer, nicht gegeben sein, muss man sich ein anderes Verkehrsmittel suchen. Das ist meiner Meinung nach übrigens nicht nur eine Frage des Alters oder des Fahrzeugs.

Ich finde, es bleibt jede:m selbst überlassen, ob und aus welchen Gründen man einen Motor am Rad braucht oder haben will, solange man die Vor- und Nachteile sinnvoll abwägt und für sich selbst zum besten Schluss kommt, was für die Lebenssituation und den Zweck sinnvoll ist. Und ob mit Motor oder nicht, unterm Strich gilt: All Cyclists Are Beautiful.

Ausnahme: Wer mit dem E-Fully abseits der Wege durchs Naturschutzgebiet ballert oder mit dem E-Rennrad an Anstiegen KOMs* klaut, dem/der ist nicht mehr zu helfen.

*K ing O f the Mountian (KOM) oder (QOM = Queen of the Mountain) sind die Spitzenreiter:innen bei Strava auf einem Segment. Also die Bestzeiten auf bestimmten Streckenabschnitten. Besonders beliebt bei Bergaufstrecken. Wer am schnellsten oben ist, holt den KOM.