Immer mal wieder, auch in Münster, kommt die Debatte auf, ob Radfahrenden das Rechtsabbiegen mit einem eigenen Grünpfeil (so wie Kfz es schon lange kennen) an Ampeln vereinfacht werden kann, soll oder darf. Leider wird dieses Thema, vor allem von den Medien, schnell zu einem Alle-Radfahrer-dürfen-ab-sofort-immer-über-Rot-fahren und damit zu einem garantierten Shitstorm gegen “ALLE RADFAHRER, die sich eh nie an Regeln halten und ohne Licht auf dem Gehweg auf der falschen Seite besoffen über rot fahren”. Vor allem die Lokalpresse in Münster bekleckert sich dabei nicht gerade mit Ruhm, sondern gießt eher Öl ins Feuer. Es werden in der Berichterstattung wissentlich Details unklar oder sogar komplett weggelassen und Titelzeilen reißerisch formuliert, um Empörung zu generieren (vor allem natürlich bei Autofahrern). Ich schrieb hier bereits über den Clickbait zu dem Thema. Der Vollständigkeit halber sei auch hier nochmal erwähnt, dass dieses Prinzip international längst seit Jahren und Jahrzehnten offizielles Regelwerk ist oder aktuell wird. Nachzulesen unter anderem hierhier und hier.

Wenn man sich mal sachlich mit der Sache befasst (was in den Social-Media-Diskussionen bekanntlich nie wirklich funktioniert), dann muss man für Münster festhalten: Diese Debatte ist eigentlich Quatsch, weil ein freies Rechtsabbiegen für Radfahrer in unserer Stadt längt Alltag ist. Wenn es auch nicht DAS Schild gibt, das als Pendant zum Grünpfeil für Autofahrer gesehen werden kann, so gibt es doch an erstaunlich vielen Ecken Lösungen, um den Radfahrenden ein freies Rechtsabbiegen, ohne an der Ampel zu warten, zu ermöglichen. Vorne weg: Ein wesentlicher Grund, warum das hier funktioniert, sind die münsteraner Hochbordradwege. Darüber kann man sich wunderbar streiten und das Für und Wider von Separation versus Vehicular Cycling diskutieren. Auch Breite, Qualität und Zustand sind häufig indiskutabel. Bei diesem Thema allerdings, sind sie von Vorteil. Dabei gibt es wie gesagt mehrere Wege wie das freie Rechtsabbiegen ermöglicht wird. Ich habe mal ein paar exemplarische Bilder der Wege zusammengestellt, wobei es jede dieser Möglichkeiten mehrfach gibt. Wie und ob diese Wege StVO-konform sind oder nicht, kann ich abschließend nicht genau sagen.

1. getrennte Wegeführung

An vielen Kreuzungen splittet sich der Radweg vor der Ampel einfach auf: Wer nach rechts will, fährt einfach über den abbiegenden Arm nach rechts, die Ampel gilt nur für Geradeaus, die Haltelinie dafür ist auch nur in dieser Richtung markiert. Fraglich ist für mich an diesen Stellen allerdings die Vorfahrtsregelung. An einigen Stellen stehen die “Vorfahrt achten” Schilder rechts vom Radweg, sodass hier der querende Verkehr von links beachtet werden muss (Wolbecker Straße). Wie die Situation komplett ohne Beschilderung an den anderen Stellen aussieht, kann mir vielleicht jemand in die Kommentare schreiben.

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Ring – Wolbecker Straße

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Ring – Manfred-von-Richthofen-Straße

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Ring – Ostmarkstraße

Neben der Abbiegesituation Radweg-weiter-auf-Radweg gibt es ebenso den freien Rechtsabbieger Radweg-weiter-auf-Straße:

Ring - Langemarckstraße

Ring – Langemarckstraße

Und dann halt auch noch sowas:

Grevener Straße - Steinfurter Straße

Grevener Straße – Steinfurter Straße

2. “Radfahrer frei”

Neben den “normalen” gesplitteten Radwegen, gibt es dann noch die Variante mit “Radfahrer frei” Zusatzzeichen an den Ampeln.

Ring - Gartenstraße

Ring – Gartenstraße

Ring - Warendorfer Straße

Ring – Warendorfer Straße

Es ist hierbei nicht erkennbar, warum manche Kreuzungen mit dem Zusatzzeichen beschildert sind und andere wiederum nicht. Übrigens gibt es das “Radfahrer frei” sehr häufig auch für das Geradeausfahren:

Ring - Sophienstraße

Ring – Sophienstraße

3. Zusatzschilder

Jetzt wird’s richtig gut: Es gibt an ein paar Stellen eigene Schilder für die Regelung und die Trennung von geradeaus fahrenden und rechtsabbiegenden Radfahrern. Hinweisschild (ich glaube kaum, dass das ein offizielles Verkehrszeichen ist) kurz vor der Ampel rechts vom Radweg. Geradeausverkehr hat die Ampel zu beachten, Rechtsabbieger haben Vorfahrt zu beachten.

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Ring – Apffellstaedtstraße

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Ring – Steinfurter Straße

Dann gibt es das gleiche Schild aber auch links vom Radweg, wo es nach StVO eigentlich keine Bedeutung hat (“Verkehrszeichen sind gut sichtbar in etwa rechtem Winkel
zur Fahrbahn rechts daneben anzubringen […] Links allein […] dürfen sie nur angebracht werden, wenn Missverständnisse darüber, dass sie für den gesamten Verkehr in einer Richtung gelten, nicht entstehen können […].” – VwV-StVO §39-43).

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Ring – Apffellstaedtstraße

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Ring – Steinfurter Straße

Um einen Überblick zu bekommen, an welchen Stellen überall ein freies Rechtssabbiegen für Radfahrer möglich ist, habe ich die mir bekannten Stellen auf der folgenden Karte markiert. Die ist bei Weitem nicht vollständig. Ich bin dankbar für jede Ergänzung (in den Kommentaren), wenn ihr noch weitere Situationen in Münster kennt. Die Karte wird dann sukzessiv erweitert.

Auffällig ist dabei zum Beispiel, dass jede große Kreuzung am Ring, wo auf Grund der Ein- bzw. Ausfallstraßen und eben des Rings ein immenses Verkehrsaufkommen herrscht, fast überall in allen vier Richtungen ein freies Rechtssabbiegen für Radfahrer möglich ist. Die häufig beschworenen Ängste von erhöhter Unfallgefahr sind demnach unberechtigt, da, zumindest mir, keine Probleme mit diesem Prinzip bekannt wären. Wenn es an Kreuzungen mit so hohem Verkehrsaufkommen offensichtlich reibungslos funktioniert, dann funktioniert es auch überall anders. Das es keine Konflikte gibt, kann aber wiederum mit der Separation zusammen hängen, Radfahrer und Radfahrer interagieren besser als Radfahrer und Autofahrer wenn es um Vorfahrt und Abbiegen geht. Wer sich nicht in die Quere kommt, kann keinen Konflikt haben.

UPDATE 05.12.:

Ich habe den einzigen “echten” Grünpfeil vergessen: Die Asche ist eine für den Radverkehr in Gegenrichtung freigegebene Einbahnstraße. Hier hat der Radverkehr in Richtung Mauritzstraße eine eigene Ampel und einen Grünpfeil. Dieser ist aber kein eigenes neues Schild, sondern es gilt dann die bekannte Regelung wie beim Kfz, inklusive der rechtlichen Grundlage.

Fazit:

Radfahrende in Münster haben an sehr, sehr vielen Stellen heute schon die Möglichkeit an Ampeln und in Kreuzungsbereichen frei rechts abzubiegen, auch ohne “echten” Grünpfeil. Ein vereinfachender Grund dafür ist sicherlich die, vom motorisierten Verkehr getrennte, Wegführung auf Hochbordradwegen. Diese sind bekanntlich oft in einem miserablen Zustand, völlig absurd geführt und viel zu schmal, um dem hohen Radverkehrsaufkommen komfortabel, sicher und zügig gerecht zu werden. Ein weiterer Knackpunkt ist die inkonsequente und uneinheitliche Handhabung des freien Rechtsabbiegens: Mal mit oder mal ohne Zusatzschild, teilweise an ein- und derselben Kreuzung zwei der oben genannten Varianten. Und in eine Richtung muss dann der Radverkehr doch an der Ampel halten, häufig ohne ersichtlichen Grund. Eine Straßenecke weiter, steht man dann ebenfalls wieder an einer Ampel, bei der es nicht mal Querverkehr gibt und muss elendig lange warten (Diskriminierende Ampelschaltungen sind aber ein anderes Thema). Diese Uneinheitlichkeit und der schlechte Zustand der Infrastruktur sind in Münster ein generelles Problem und provozieren häufig das Fehlverhalten der Radfahrenden, welches dann wiederum in “ALLE RADFAHRER SIND RAMBOS” mündet. Wenn sich die Wegeführung, Ampelschaltung, Vorfahrts- oder Abbiegesituation an jeder Ecke, teilweise völlig unintuitiv und unsinnig, ändert, muss man sich eigentlich nicht wundern, dass manche Radfahrende sich ihren eigenen Weg suchen. Und der ist dann manchmal nicht mehr StVO-konform. Falls sich übrigens hier jemand mit dem Regelwerk auskennt, gerne mal einen Kommentar da lassen, wie die oben genannten Varianten in die StVO passen (oder auch nicht).

Es bleibt also festzuhalten, dass die Aufregung bei der nächsten Debatte, wenn das Thema auf den Tisch kommt, völlig überzogen ist, da das freie Rechtssabbiegen längst Realität ist und augenscheinlich auch funktioniert. Das die Lösungen die Münster hat, nicht die Besten sind, darüber kann und sollte man ausgiebig diskutieren. Da kaum eine andere Stadt mit der Radinfrastruktur ausgestattet ist, wie Münster sie hat (kann man gut oder schlecht finden), müssen sowieso andere Lösungen her: Eben ein richtiges Verkehrszeichen als Pendant zum Grünpfeil für Kfz, um eine einheitliche und universell einsetzbare Regelung zu finden. Wie so oft zeigt Münster, dass das Prinzip grundsätzlich funktioniert. Nur die Ausführung lässt, wie bei so vielen Dingen in dieser Stadt, leider zu wünschen übrig und ist allerhöchstens ausreichend. Gut, dass Möglichkeiten gefunden werden und wurden, schlecht, dass es dann so aussieht, wie es jetzt aussieht.

Wer sich übrigens angucken möchte, wie sowas richtig gut funktioniert, sollte Mal nach Amsterdam fahren.