Das Frühjahr und der Sommer 2020 waren und sind für die (Lasten-) Fahrradcommunity eine Durststrecke. Coronabedingt wurden diverse Messen und Events (völlig klar) abgesagt. Dem Ganzen sind auch diverse Cargo Bike Races, die Schokofahrt und verschiedene Bikepacking Events zum Opfer gefallen. An das, was uns allen so viel Spaß macht, nämlich gemeinsam mit vielen Menschen Rad fahren, war erstmal gar nicht zu denken.

Dann passierten zwei Dinge:
1. Die Clique, die sich sonst auf all diesen Events gesehen hätte, traf sich zu Videocall-Frühstücks, um wenigstens ein bisschen Lastenradtrashtalk führen zu können und sponn Ideen.
2. Zwei Jungs aus Bremen haben sich einen eigenen self-supported Bikemarathon ausgedacht.

Was dabei heraus kam ist die Bremen – Brocken – Bremen Cargobike Edition 2020.

Sommer, Sonne, Cargobikes!

Der Bikemarathon

Die Strecke die sich Jannis und Karl ausgedacht haben, startet am Weserwehr in Bremen, geht einmal bis zum Gipfel vom Brocken (mit 1.141m der höchste Berg Norddeutschlands) und wieder zurück. In Summe 510+ Kilometer und ~2.600 Höhenmeter. Ausgelegt ist das Ganze aufs Rennrad und das eigentliche Ziel ist es, die Challenge irgendwann zwischen dem 01. Juni und dem 31. August so schnell wie möglich zu finishen. Mindestens innerhalb von drei Tagen. Stand heute liegt die (völlig verrückte) Bestzeit bei etwas mehr als 15 Stunden, das bedeutet einen Schnitt von 34km/h!

Mit dem Weg vor Augen, ist der Berg das Ziel

Bremen Brocken Bremen

Wahrscheinlich weil sonst niemand auf die Idee käme, sind Lastenräder im Reglement gar nicht erst erwähnt, wir haben uns trotzdem gesagt: Wenn wir schon keine Rennen oder Schokofahrt fahren können, dann fahren wir das Ding halt mit Carogbikes. Und weil wir sowieso keine Chance auf irgendeine Wertung haben, nehmen wir uns einfach vier Tage Zeit, laden noch das Campingequipment auf und machen daraus einfach einen Radurlaub. Quasi Cargobikepacking. Inzwischen erlaubten es die Coronaschutzverordnungen in den verschiedenen Bundesländern auch, eine solche Tour zu starten.

Eine Packliste wurde erstellt, Gemeinschaftsgepäck wie Zelt, Kocher, Werkzeug auf die verschiedenen Räder und Fahrer:innen verteilt und für die erste und die letzte Nacht der Campingplatz in Bremen gebucht. Alles dazwischen sollte spontan passieren. Am Vorabend des Starts trafen wir uns in Bremen. Kirsten aus Wuppertal fuhr mit dem Zug über Münster, dort bin ich zugestiegen, gemeinsam ging es nach Osnabrück. Da ist dann Christoph zugestiegen und wir sind zu dritt nach Bremen gefahren. An dieser Stelle mal Probs an den Regionalverkehr der Bahn in Niedersachen, ich wünschte mir auch in NRW derartige Fahrradabteile!

Fahrradabteil im RE Osnabrück – Bremen: massig Platz

Aus Berlin kam Jens mit dem Zug ebenfalls nach Bremen. Aus Kiel ist Sofia schon mit dem Rad angereist, in Schleswig-Holstein ist nicht mal im Regionalverkehr die Mitnahme von Lastenrädern erlaubt (Buh!). Nach Zeltaufbau und Pizza ging es ziemlich schnell in die Schlafsäcke.

Stage 1

Nachdem wir die Jungs von BBB leider um ein paar Minuten am Weserwehr verpasst haben (verdammter Stadtverkehr!) konnten wir unsere Startbeutel, bewacht von Bauarbeitern, von einem Bauzaun abholen.

Starterbeutel: check!

Die erste Etappe waren dann knapp 170 km und rollten ziemlich easy mit leichtem Rückenwind weg. Noch waren ja auch kaum Höhenmeter dabei. Der Campingplatz kurz vor Braunschweig war dann auch noch Idylle pur mit Badesee und großer Wiese. Außerdem war kaum etwas los, sodass wir in Ruhe die Kocher anschmeißen und die leeren Speicher mit Nudeln wieder füllen konnten.

Stage 1

Stage 2

Nach Frühstück mit Müsli und Kaffee aus der Bialetti ging es los Richtung Brocken. Die ersten 50 Kilometer waren noch vergleichsweise flach, dann kamen wir dem Harz immer näher und die Hügel wurden größer und steiler. Nach einem kurzen Stopp an der ehemaligen deutsch-deutschen Grenze wurde es dann langsam ernst. Ein kurzer Stopp im Kloster Wöltingerode hat mich und Jens noch dazu verleiten lassen je eine Flasche Gin aus der Klosterbrennerei zu kaufen. Natürlich vor dem Aufstieg, wir Genies. Also 0,7 Liter + Glasflasche Extragewicht. (Hat sich aber gelohnt, der schmeckt super!)

Zwischenstopp an der ehemaligen deutsch-deutschen Grenze

Ab Wernigerode ging es dann nur noch bergauf: ein 27 km langer Anstieg bis zum Gipfel, mein Radcomputer hat mehrmals 14% Steigung angezeigt. Wir haben uns dazu entschieden, dass es sinnvoller ist, wenn jedeR sein/ihr eigenes Tempo fährt und wir oben dann alle warten. Rückblickend fand ich die 2:20 Std die ich für den Anstieg gebraucht habe, gar nicht so lang. Hart war es trotzdem. Am Anfang waren die Autofahrer mit nervösem Hupe-Finger anstrengend, ab Schierke ging es dann ohne Autoverkehr, dafür mit den ganz steilen Rampen Richtung Gipfel. Ein paar Rennradfahrer haben uns zwischenzeitlich mit “Ey, ihr seid doch die Bekloppten, die @selbsteingebrockt fahren oder? Hab euch bei Instagram gesehen! Mega cool!” motiviert. Außerdem kamen viele aufmunternde Worte von Spaziergänger:innen, uns war das Leiden offensichtlich ins Gesicht geschrieben.

Nach und nach sind wir dann alle oben angekommen und ich muss sagen: Was für eine fantastische Aussicht und was für ein überragendes Gefühl den Brocken bezwungen zu haben!

5 Cargobikes auf dem Brocken
Aussicht!

Nach kurzer Recherche stellen wir außerdem fest: Was für ein Glück wir mit dem Wetter haben! Die Temperaturen waren angenehm und nicht so, dass wir komplett gegrillt worden wären. Außerdem Sonne und eine wahnsinnige Weitsicht! Wenn man bedenkt, dass der Brocken an ~310 Tagen im Jahr im Nebel versinkt, der niederschlagreichste Ort in Mitteleuropa ist und es selten windstill und häufig stürmisch ist, haben wir wohl den perfekten Tag erwischt.

Belohnung für den Anstieg: Aussicht genießen

Ebenso großartig war dann natürlich die Abfahrt, auf trockener, breiter und super asphaltierter Straße in die Abendsonne fahren: Wahnsinn! Es ging dann bis nach Schierke, dort haben wir uns erstmal zur Belohnung ein üppiges Essen im Restaurant gegönnt und dann unser Lager im Waldcamingplatz aufgeschlagen. Fünf Menschen mit vollgepackten Lastenrädern sieht man im Harz wohl eher selten. Jedenfalls durften wir mehrfach die Top 4 der Lastenrad-Bullshitbingo Fragen beantworten:

  1. “Nein, die sind nicht selbstgebaut, die kann man so kaufen”.
  2. “Nein, so schwer sind die nicht, zwischen 18 und 22 kg”.
  3. “Nein, das ist mit ein bisschen Gewöhnung nicht schwierig zu fahren”.
  4. Im Vergleich zu ‘nem Auto ist das auch nicht teuer”.

Der Abend war dann kurz, wir waren alle ziemlich platt.

Stage 2

Stage 3

Der berühmt berüchtigte dritte Tag lief bei uns dann auch prompt sehr zäh an. Länger schlafen, beim Frühstück und Zusammenpacken trödeln und schon sitzt man erst um 9:30 Uhr (1:30 Std später als geplant) im Sattel. Nach einer kurzen Abfahrt von Schierke ging es dann unaufgewärmt in die letzte große Steigung der Tour nach Torfhaus, die sofort eine Menge Körner und Motivation gekostet hat. Die Abfahrt nach Bad Harzburg war dann wieder ziemlich cool. Aber auch wenn wir den Harz hinter uns gelassen hatten und es wieder flach wurde, kam der Wind tendenziell eher von vorne und die Kaffeestops wurden immer länger.

Abkühlung im Brunnen

Wir haben uns dann spontan entschlossen, die Etappe um 30 km zu kürzen und stattdessen den nächsten Waldcampingplatz anzusteuern. Wieder gab es einen Badesee und sogar frisch gezapftes Bier in der Schenke am Platz. Wieder war kaum etwas los (außer Schützenfestvorbereitungen?!), wir hatten aber unsere Ruhe. Zeit für Lichtkunst und den Schleicher von Kirsten zu flicken.

Langzeitbelichtung der GoPro + Akkurücklicht = Kunst?
Stage 3

Stage 4

Endspurt nach Bremen: Der Wind kam am vierten Tag tatsächlich wieder günstiger, wir haben es früh auf die Räder geschafft und rollten flüssig gen Weserwehr. Die neu geplante Route mit den 30 eingesparten Kilometern vom Vortag verlief etwas mehr abseits der großen Landstraßen (der Tourenvorschlag von BBB ist eher auf Schnelligkeit als auf idyllische Wege ausgelegt), sodass wir entspannt in den Tag starten konnten. Gegen Nachmittag kamen wir dann an die Weser und immer weiter Richtung Wehr. Dort gab es dann das Zielfoto und ein Siegerbier.

Zielfoto am Weserehr nach 522 Kilometern

Wir haben es geschafft: Mit dem Lastenrad von Bremen zum Brocken und zurück. In 4 Tagen genau 24 Stunden und 12 Minuten im Sattel gesessen. Dabei 522,6 km gefahren und 2.624 Höhenmeter bezwungen. In Summe einen Schnitt von 21,6 km/h.

Und nochmal zum Thema Glück mit dem Wetter: Genau 1 Minute nach dem Zielfoto fing es so heftig an zu regnen, dass wir die letzten 8 Kilometer bis zum Campingplatz nochmal einen richtig nassen Arsch bekommen haben.

Regen auf den letzten Metern
Stage 4
Keine Tour ohne Spokecard!

Unterm Strich war das Ganze eine wohl ziemlich verrückte aber auch ziemlich geile Aktion. Danke an Jannis und Karl für die Tour und Danke an Kirsten, Christoph, Sofia und Jens, die bekloppt genug sind, auf meine Idee einzusteigen, das Ding mit Lastenrädern zu fahren. Ich habe meine Tasche übrigens nicht gewogen, schätze aber, dass sie ~15kg gewogen hat. Plus Rad mit 22kg und mir (~70 kg) komme ich auf ein Systemgewicht von über 100kg die ich den Gipfel raufgetreten habe. Ob ich nochmal zum Brocken will? Klar, aber dann nehme ich diese Dampflock!

Abschließend fassen es die Worte auf der Homepage von BBB ganz gut zusammen:

Die Natur als Herausforderung und Spielwiese.
Der schmale Grat zwischen Ambition und Wahnsinn. Mit Freunden mittendrin.

BremeN – Brocken – Bremen

Bewegtbild gibt es von der Tour hier:

PS: Sofia ist nach der Tour auch den Rückweg nach Kiel noch mit dem Rad gefahren und hatte am Ende in 8 Tagen 1.006 km auf der Uhr und hat den Schnitt noch auf 23 km/h gepusht. Also wenn noch jemand eine transkontinental-Fahrradkurierin sucht, meldet euch bei Sofia.